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Kardinal König-Haus, Wien, 12. April 2007



Die aktuelle Situation der orientalischen Kirchen im Nahen Osten


Am 29. März 2007 ging eine Meldung von der Ermordung zweier Nonnen aus dem Irak durch die Presse und erschütterte die Öffentlichkeit. Der chaldäisch-katholische Erzbischof Louis Sako von Kirkuk korrigierte die Meldung kurz danach in einem Presse-Kommuniqué der katholischen Hilfsorganisation  Kirche in Not ", wonach es sich bei den beiden irakischen Frauen nicht um zwei Nonnen", sondern um zwei leibliche Schwestern gehandelt haben soll. Er rief gleichzeitig die Christen dazu auf, keine Angst zu haben. Die Situation im kurdischen Norden Iraks sei nicht so schlimm wie in Bagdad und in Mossul. Doch laut  Kirche in Not " seien inzwischen allein 1,2 Millionen Iraker nach Syrien geflohen, darunter Hunderttausende Christen.


Spätestens seit Beginn des amerikanischen Feldzugs gegen den Irak, sind es vor allem die christlichen Minderheiten in den Ländern des Nahen Ostens, die immer mehr in die Schußlinie der beiden verfeindeten Machtblöcke - des westlich geprägten Kapitalismus einerseits und des immer mehr selbstbewußt auftretenden Machtblocks arabisch-islamischer Länder andererseits - geraten.


So wurde zum Beispiel auch im Februar vergangenen Jahres in der Türkei ein italienischer Priester von einem jungen Moslem ermordet. Kurz darauf wurden zwei weitere Ordensmänner in der Türkei mit dem Messer bedroht. Die christliche Gesinnung solch mutiger Ordensmänner scheint allein schon für Irritation in der Türkei zu sorgen. Im Januar 2007 wurde schließlich der armenische Journalist und Schriftsteller Hrant Dink in Istanbul ermordet. Sein Fall wurde kurz danach als Akt eines Verrückten" als erledigt erklärt. Heute wollen viele armenische junge Leute die Türkei aus Angst verlassen." ( Porta 20. März 2007)


Der Ökumenische Patriarch Bartholomaios I. hat während seines jüngsten Besuchs vor einem Monat in Wien darauf hingewiesen, daß die Arbeit des Patriarchats von Konstantinopel aus den bekannten Umständen," unter denen die griechisch-orthodoxe Kirche in der Türkei wirken muß, nicht erleichtert, sondern vielmehr erschwert wird." Der Patriarch wollte damit andeuten, mit welchen Schwierigkeiten die griechisch-orthodoxe Kirche, aber auch alle anderen christlichen Minderheiten in der Türkei zu kämpfen haben. Der türkische Staat erkennt die Kirchen nicht als Rechtspersönlichkeiten an und gesteht ihnen keine Eigentumsrechte zu.


Als Zeichen guten Willens gegenüber der EU hat die türkische Regierung eine armenische Kirche im nordöstlich gelegenen Ort Van restaurieren lassen. Am Ende der Restaurierungsarbeiten fehlten jedoch die Kirchenglocken und das Kreuz! Der armenische Patriarch Mesrob II. flocht daher in seinen Dank an die türkische Regierung auch die Bitte um die Restitution der Kirchenglocken und des Kreuzes für den Altarraum ein. Schließlich heißt die Kirche  Agthamar " - Heiliges Kreuz". Der Patriarch und die armenische Gemeinde fügten noch ihren Wunsch hinzu, daß die Kirche wieder für den liturgischen Kult geöffnet werden sollte, aber bis heute haben sie von der türkischen Regierung keine Antwort erhalten. ( Porta 20. 3. 2007)


Die laizistische Türkei anerkennt zwar in ihrer Verfassung die Rechte der Minderheiten, in der Realität aber halten sie sich nicht daran. So ist es zum Beispiel den kurdischen, alevitischen (obwohl diese muslimisch sind!) und armenischen Minderheiten versagt, eigene Parteien zu gründen und sich aktiv in das politische Leben einzubringen. Trotzdem betonen Befürworter eines EU- Beitritts der Türkei immer wieder, die sei Türkei das Land der Demokratie und der Freiheit.


Papst Benedikt XVI. hat während seiner Türkei-Reise im vergangenen November 2006 von der türkischen Regierung die Respektierung der religiösen Freiheit und der Menschenrechte eingefordert. Die Regierung muß jedoch erst beweisen, ob sie die Worte des Papstes ernst nimmt und in die Tat umsetzt.


Im September 2006 haben die Reaktionen aus der muslimischen Welt auf die inzwischen so oft zitierte Regensburger Rede" von Papst Benedikt XVI. das Bild von einem friedlichen Islam" in der westlichen Welt etwas zurechtgerückt und die Frage nach einem ehrlichen, auf Vernunft basierenden interreligiösen Dialog erneut aufgeworfen. Es ist eine schwierige Aufgabe, aber die einzig mögliche!


Welche aktive Rolle könnten bei diesem Dialog die Christen und besonders auch die orientalischen Christen spielen? Werden sie in diesem Spannungsverhältnis zwischen östlicher und westlicher Hemisphäre überhaupt noch wahrgenommen? Haben sie die Möglichkeit, ihre Stimme zu erheben, oder gerät ihre schwindende Präsenz in den Ländern des Nahen Ostens immer mehr unter den Mühlstein verschiedener Machtinteressen?


In Israel, das nicht nur Christen, sondern auch Juden und Muslimen heilig" ist, beträgt der Bevölkerungsanteil der Christen nur noch knappe 2 Prozent, während vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges noch 18% Christen im Heiligen Land lebten. Bis vor kurzem beteuerten arabische Christen, daß sie keine Probleme" mit ihren muslimischen Nachbarn hätten. Doch seit einiger Zeit kommt es auch in Israel und in den besetzten palästinensischen Gebieten zu Zwischenfällen, die arabische Christen - neben ihrem ohnehin schon schwierigen Verhältnis zur israelischen Regierung - veranlassen, ihre Heimat zu verlassen. Die Christen, vor allem Maroniten, die in der Nähe der Grenze zum Libanon und zu Syrien in Israel lebten, verließen teilweise schon in den 50er Jahren ihre Dörfer und überließen ihre Häuser der israelischen Armee, die dort mit den neuen Einwohnern einen sicheren Schutzwall gegen die von außen eindringende Gefahr errichtet hatten. Die bedrückende Gefahr von gestern ist heute zum Terrorismus auf beiden Seiten geworden.


In Ägypten gibt es außerdem acht bis neun Millionen Kopten. Sie üben jedoch keinerlei Einfluß auf die Politik des Landes aus, während bei den letzten Wahlen die von der ägyptischen Regierung bisher verbotene fundamentalistische Bewegung, die Muslimbrüder", mit 20 Prozent der Stimmen den Einzug ins Parlament geschafft hat. Nicht nur die Kopten, sondern auch die demokratischen Kräfte des Landes befinden sich seither in starker Bedrängnis.


Die Situation im Libanon bleibt hingegen eine Ausnahme: Von den 4,5 (viereinhalb) Millionen Einwohnern des Landes, sind immerhin noch 2 Millionen Christen, die unterschiedlichen Riten angehören. Die Christen haben eine entscheidende Rolle während des Aufbaus des Landes gespielt und sich auch in der Politik aktiv beteiligt. Es konnte ein kluges und ausgewogenes politisches System ausgehandelt werden, wobei alle im Libanon ansässigen Religionsgruppen in der Regierung vertreten sind. Seit über 30 Jahren jedoch sind die Christen einem ständigen Druck von außen ausgesetzt. Mit der Ermordung von Ex-Minister Rafik Hariri im Jahre 2005 wurde das prekäre Gleichgewicht der politischen Lager erneut durcheinandergeworfen. Die Situation ist seitdem sehr angespannt. Der Einfluß von pro-syrischen, islamistischen Gruppierungen, wie der Hizzbollah, nimmt ständig zu. Die Lage der Christen hat sich durch den letzten Krieg im Sommer 2006 noch weiter verschlechtert. Der Exodus der Christen ist auch hier unaufhaltsam geworden. Neulich stand in der britischen Zeitung Sunday Telegraph", daß die Hälfte der Christen im Libanon kein Vertrauen mehr in die Zukunft des Landes hätten und auf ein Emigrationsvisum warten. Mehr als 60.000 Christen hätten das Land bereits verlassen. Weitere 100.000 Christen warten noch auf ein Visum. Der Sunday Telegraph" vermutet daher, daß sich das Ende des politischen Libanon" anbahnt. ( An Nahar, 2. April 2007)


Trotz dieser ständig blutenden Wunde gibt es im Libanon noch elf christliche Kirchen mit unterschiedlichem Ritus: einerseits jene, die mit dem Papst in Rom verbunden sind wie die Maroniten, die Melkiten, die syrisch-katholische und die armenisch-katholische Kirche, sowie die katholische Kirche des lateinischen Ritus, andererseits gibt es viele verschiedene orthodoxe Kirchen. Im Gegensatz zu anderen arabischen Ländern genießen die Christen im Libanon (noch!) Presse- und Meinungsfreiheit: Interreligiöse Dialoge zwischen Muslimen und Christen finden in der Schule, auf der Universität oder auch im Fernsehen statt. Mich hat es einmal besonders bewegt, als in einem libanesischen christlichen Fernsehkanal eine katholische Schwester mit Schleier zu sehen war, die mit einem muslimischen Scheich mit weißem Hut und schwarzem Bart über die Würde und die Rechte der Frauen diskutierte. Die Schwester war dynamisch, höflich und verfügte über konkrete Argumente, der Scheich hingegen war zwar rhetorisch eloquent, oft aber nicht wirklich überzeugend. Die Christen genießen im Libanon zwar noch politische und religiöse Rechte, aber ihre Position ist geschwächter als je zuvor. Ihre Zukunft hängt nicht so sehr von der religiösen Freiheit, als vielmehr von der demographischen Entwicklung ab.


In den anderen arabischen Ländern islamischer Prägung hat sich die christliche Minderheit schon seit Jahrhunderten mit dem  Dhimmi "-Dasein abgefunden, das heißt, die Christen zahlen der islamischen Regierung eine Kopfsteuer und verfügen über keinerlei Rechte. In Saudi-Arabien und einigen anderen arabischen Ländern dürfen die Christen sich nicht einmal privat zum gemeinsamen Gebet treffen.


Die christlichen Minderheiten in den Gebieten von Marokko bis in den Irak haben die lange Zeit des ottomanischen Reiches dank der Schutzfunktion europäischer Länder überlebt. Doch als sich Frankreich, England, Italien, Deutschland und auch Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg aus ihren Kolonialländern wieder zurückzuziehen begannen, verloren die orientalischen Christen an Einfluß und ihren westlichen Schutzherren".


Der arabisch-israelische Konflikt, der nun schon seit beinahe 60 Jahren schwelt, hat die Situation der Christen keineswegs erleichtert. Er hat vielmehr dazu beigetragen, daß sich orientalische Christen mit neuen Vorwürfen seitens der muslimischen Bevölkerung auseinandersetzen müssen, wie vor allem dem Vorwurf, pro-westlich und pro-israelisch eingestellt zu sein, was jedoch nicht ganz richtig ist. Der letzte Krieg im Libanon hat zum Beispiel gezeigt, daß für die libanesischen Christen das Nebeneinander der verschiedenen Konfessionen unter einem libanesischen Staat von höchster Priorität war. Es ist ihnen jedoch nicht gelungen, dieses Anliegen der Bevölkerung zu vermitteln. Ihre Zukunft ist daher sehr fraglich geworden.


  1. Welche Aussichten gibt es daher für die Zukunft?

Menschlich gesprochen gibt es keine gute Aussicht. Aber die Christen sind eine Gemeinschaft von Gläubigen, die Gemeinschaft ist die Kirche, und die Kirche ist in Christus gleichsam Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit",, wie der Heilige Vater, Papst Benedikt XVI. in seinem jüngsten Apostolischen Schreiben  Sacramentum Caritatis " gesagt hat. (Sacramentum Caritatis, 16)


In diesem Sinn bleibt die Hoffnung bestehen. Ja, die Hoffnung ist groß. Aber leider spielt nicht immer nur die Qualität der gläubigen Christen eine wichtige Rolle, sondern auch die Quantität, das heißt, die Anzahl der Christen. Wir müssen versuchen, einem demographischen Rückgang der Christen im Nahen Osten entgegenzusteuern.


Aber auch hier im westlichen Europa ist leider ein demographischer Dammbruch zu verzeichnen. Es fehlt an Familien mit vielen Kindern, und auch die Anzahl praktizierender Christen schwindet dahin. So entsteht ein neues Vakuum, das durch das Vordringen vieler Migranten nach Europa gefüllt wird, von denen eine Mehrzahl muslimisch geprägt sind. In vielen Ländern Europas, vor allem in Frankreich, Großbritannien und Deutschland entsteht immer mehr die Gefahr von Parallelgesellschaften, die an den Rand gedrängt und somit zum Unruhefaktor werden.


Die Presse und die Medien bringen jeden Tag Nachrichten von Terrorismus im Namen des Islam. Die letzten Nachrichten von heute berichten von einem Attentat in Algier (24 Tote, 222 Verletzte). Der italienische Corriere della Sera schreibt in einer Überschrift am 12. April 2007: Europa im Visier". Nichtsdestotrotz können Gewalt und Terrorismus nicht anders als mit Mut und Kultur besiegt werden. Mut, sich der Gewalt entgegenzustellen und Kultur, um den Menschen beizubringen, daß Gott nicht ein "Gott des Todes", sondern ein Gott des Lebens" ist, wie es in der Bibel steht. Die einzige Waffe, die gegen den Terrorismus wirksam sein kann, ist die Waffe der Kultur. Die Kultur aber braucht Zeit, Menschen und Geld. Es fehlt nicht an Zeit, Menschen und Geld. Das Problem ist, daß sie falsch eingesetzt werden. Es fehlt der Eifer, die Geduld und die Hoffnung, daß der Samen sterben muß, um Frucht zu bringen.


Heute ist jedoch nicht alles negativ. Die Medien, die schnelle Kommunikation und auch die Globalisierung sind Mittel für den Fortschritt. Die muslimische Welt, auch die radikalsten unter den Muslimen, können sich dieser kulturellen Revolution nicht entziehen. Die kulturelle Revolution besteht jedoch nicht nur aus Technik, Wirtschaft und Industrie. Die menschliche, demokratische Revolution braucht immer auch eine Seele, eine Transzendenz, einen Einblick in die Geheimnisse Gottes. Dies kann nur eine rationelle und geistliche Philosophie schaffen, wie sie das Christentum mit sich bringt.


Die Welt der Muslime und des Nahen Ostens trifft mit viel Kraft und Überzeugung auf die westliche Welt. Die muslimische Welt ist religiös motiviert. Die Muslime sind überzeugt, daß Allah ihnen das neue Land zur Eroberung gegeben hat. Ihr sollt Allah in dem Land wieder herrschen lassen", heißt es im Koran. Oder auch: Ihr seid die beste Nation ( Ummi ), die Allah geschaffen hat." Die islamischen Terroristen glauben, Allah mit ihren Attentaten und Anschlägen zu gehorchen.


Wenn die europäische Welt, die Gesellschaft, Kultur, Politik und Forschung nicht ihren transzendentalen Ursprung wieder findet, so wird sich der radikale Islam in Europa ausbreiten und in diesen Bereichen großen Einfluß ausüben. Dies wird jedoch kein Vorteil sein, weder für Europa, noch für den Islam selbst. Der Islam muß lernen, keine Angst vor Selbstkritik zu haben. Er darf sich einer historisch-kritischen Methode nicht entziehen. Die kleine christliche Gemeinde im Nahen Osten kann dazu auf besondere Weise ihren Beitrag leisten. Die orientalischen Christen haben keinen Komplex, mit Muslimen über unterschiedliche Fragen zu diskutieren und, wenn notwendig, auch zu polemisieren. Sie brauchen jedoch einen Anker, damit ihre Reise auf hoher See sicher verlaufen kann. Sie sind jedoch enttäuscht, wenn die Europäer ihre religiösen und politischen Fragen auf naive und oberflächliche Weise beantworten. Europa muß seine Mission, seine geschichtliche Rolle und kulturelle Dynamik wieder finden! In Europa, wie überall in der Welt, ist es richtig, Staat und Kirche zu unterscheiden. Aber Religion und Gesellschaft kann man nicht voneinander trennen. Sie gehören zusammen, sie reisen zusammen durch das ganze Leben. Die Christen des Orients sind für diese Reise vorbereitet. Wenn man ihnen hilft, sie stimuliert und sie in ihrer Würde schätzt, werden sie einen wichtigen Beitrag zum Dialog mit dem Islam leisten können. Es wird im Interesse der Kultur und der Religion, aber auch im Interesse der Laizität des Staates, der Demokratie und der Verständigung der Völker sein.