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Benedikt XVI. und Europa
Priesterkonferenz, Triest, 7. April 2008
Von Europa und Benedikt XVI. zu sprechen, oder auch über Europa in den Ansprachen und Wortmeldungen Benedikt XVI. zu sprechen ist ein wenig so, also ob man in reines, klares Wasser eintauchen würde. Man wird verzaubert von einer Atmosphäre und vergißt sich in der Weite des Themas und im Reiz seiner Ausführung und Darstellung. Um in diesem Raum nicht unterzugehen, begrenze ich mich auf die Worte Papst Benedikts in seinen Ansprachen während seiner dreitägigen Österreichreise vom 7. bis zum 9. September 2007.
Der Anlaß für die Reise war das 850. Gründungsjubiläum des Wallfahrtsortes Mariazell, der Wiege österreichischer Frömmigkeit und Begegnungspunkt der Völker Mitteleuropas. Mariazell, so der Papst, steht nicht nur für eine 850jährige Geschichte, sondern zeigt aus der Erfahrung der Geschichte und vor allem durch den mütterlichen Hinweis der Gnadenstatue auf Christus auch den Weg in die Zukunft.
Zum Thema dieser Zukunft hielt der Papst auf österreichischen Boden insgesamt zehn Ansprachen, die sich zwar im Hinblick auf ihre Adressaten und die jeweiligen Umstände voneinander unterschieden, dabei aber doch stets deutlich auf Christus hinzielten. Auf Christus schauen lautete ja auch das Motto des Papstbesuches - auf Christus, die Quelle und Zukunft Europas.
In seinem eleganten Stil, mit einnehmender Stimme und seinem entschiedenen Lächeln zeichnete der Papst ein vollständiges Bild von Europa und seinen Aufgaben in diesem bestimmten Augenblick der Geschichte, wie auch von seiner Verantwortlichkeit für die Zukunft. Die Kernidee ist klar: Bleibt eurer Identität treu!
1. Vor den Vertretern der Nationen entwarf der Papst ein Bild der gegenwärtigen Situation Europas mit seinen Errungenschaften, seinen Risken und Herausforderungen.
2. Die Kirche, die auf dem europäischen Kontinent lebt, verwies er auf die nie versiegende Quelle ihrer globalen, humanen und intellektuellen Dimension, auf die Quelle ihres sozialen, seelsorglichen und geistlichen Engagements: Auf Christus schauen.
3. Allen rief er in Erinnerung: Sine dominico non possumus! Der Sonntag, der in der modernen Gesellschaft oft zur Freizeit mutiert, ist etwas Schönes und Notwendiges. Aber wenn die freie Zeit nicht eine innere Mitte hat, von der Orientierung fürs Ganze ausgeht, dann wird sie schließlich zur leeren Zeit, die uns nicht stärkt und nicht aufhilft. Daher bedürfen das christliche Engagement und seine Mission in der Stadt und in der ganzen Welt eines eigenen, angemessenen Raums.
1. Europa heute
In seiner Begegnung mit den österreichischen zivilen Autoritäten, den Vertretern des diplomatischen Corps sowie den verschiedenen Organisationen der Vereinten Nationen in der Wiener Hofburg am 7. September würdigte Papst Benedikt XVI. die Vertreter der vielen in Wien ansässigen internationalen Organisationen für Ihren Einsatz nicht nur im Dienst und für die Interessen der Länder, die Sie vertreten, sondern auch für die gemeinsame Sache des Friedens und der Verständigung unter den Völkern. Auch der Republik Österreich dankte der Heilige Vater für die Entwicklung eines beispielhaften sozialen Zusammenlebens, für das der Begriff der Sozialpartnerschaft zum Synonym geworden ist.
Im historischen Rahmen der Hofburg, von der aus jahrhundertelang die Geschicke eines Reiches gelenkt wurden, das weite Teile Mittel- und Osteuropas vereinte, nützte der Papst die Gelegenheit, um das ganze Europa von heute in den Blick zu nehmen. Europa habe den Weg zu einer Einheit des Kontinents eingeschlagen, die eine dauerhafte Friedensordnung und eine gerechte Entwicklung gewährleisten soll.
Auch wenn es unter einigen Aspekten berechtigte Kritik an europäischen Institutionen geben kann, ist der Prozeß der Europäischen Einigung doch ein Werk von großer Tragweite, das diesem früher von fortgesetzten Konflikten und unseligen Bruderkriegen zerfressenen Kontinent eine lange nicht gekannte Friedenszeit gebracht hat. Besonders für die Völker Mittel- und Osteuropas ist die Beteiligung an diesem Prozeß ein weiterer Anreiz, in ihrem Innern die Freiheit, den Rechtsstaat und die Demokratie zu festigen. In diesem Zusammenhang erinnerte Benedikt XVI. besonders an den Beitrag seines Vorgängers Johannes Paul II. in diesem Prozeß.
Das Haus Europa, denn so wird die Gemeinschaft des Kontinents benannt, wird nur dann ein für alle gut bewohnbarer Ort sein, wenn es auf einem soliden kulturellen und moralischen Fundament von gemeinsamen Werten aufbaut, die wir aus unserer Geschichte und unseren Traditionen gewinnen.
Am 26. Jänner 1977 hatte Paul VI. vor dem Europäischen Rat folgendes geäußert: Unser Glaube, auch wenn er schwach geworden oder schon erloschen ist, und die Früchte des Evangeliums machen das gemeinsame Erbe aus, das wir verteidigen müssen, um die weitere Entwicklung des Menschen zu wahren. Der Papst ging klar auf die gegenwärtige Krise der Gesellschaft ein, indem er sie als eine Krise der kulturellen und moralischen Werte aufzeigte. Die Probleme sind für ihn konkret: die Verleugnung der christlichen Wurzeln Europas Europa kann und darf seine christlichen Wurzeln nicht verleugnen! der Schutz des Lebens von der Empfängnis bis zu seinem natürlichen Tod, sowie der Dialog der Vernunft.
In der Beschäftigung mit diesen Problemen und aus der Richtungsweisung der politischen und intellektuellen Autoritäten liegen die aktuellen Hauptaufgaben Europas in der Welt.
Die christlichen Wurzeln
Um ein auch wirklich bewohnbares Haus für alle zu sein, müsse Europa auf einem soliden Fundament gebaut werden: auf den gemeinsamen kulturellen und moralischen Werten. Diese Werte sind vorwiegend christlich. Daher kann und darf Europa seine christlichen Wurzeln nicht verleugnen. Sie sind eine dynamische Komponente unserer Gesellschaft auf dem Weg durch das dritte Jahrtausend.
Das Christentum hat diesen Kontinent zutiefst geprägt, wovon in allen Ländern, gerade auch in Österreich, nicht nur zahlreiche Kirchen und bedeutende Klöster Zeugnis geben. Der Glaube wird vor allem in den unzähligen Menschen bezeugt, die er durch die Geschichte herauf bis zum heutigen Tag zu einem Leben der Hoffnung, der Liebe und der Barmherzigkeit bewegt hat, so der Papst im Großen Saal der Wiener Hofburg. Das Nationalheiligtum von Mariazell sei zugleich ein Ort der Begegnung für verschiedene europäische Völker. Es ist einer der Orte, an denen sich Menschen die Kraft von oben für ein rechtes Leben geholt haben und holen.
Wenn man heute oft von einem europäischen Lebensmodell sprechen hört, so ist damit eine Gesellschaftsordnung gemeint, die wirtschaftliche Effizienz mit sozialer Gerechtigkeit, politische Pluralität mit Toleranz, Liberalität und Offenheit verbindet, aber auch das Festhalten an Werten bedeutet, die diesem Kontinent seine besondere Stellung geben, so der Papst weiter. Doch sieht er dieses Modell vor einer großen Herausforderung stehen, die Globalisierung heißt. Es sei daher eine dringende Aufgabe und eine große Verantwortung der Politik, der Globalisierung solche Regeln und Grenzen zu geben, daß sie nicht auf Kosten der ärmeren Länder und der Ärmeren in den reichen Ländern realisiert wird und nicht den kommenden Generationen zum Nachteil gereicht, so der Papst in seiner Rede in der Hofburg.
Wenn Europa in seiner Geschichte auch ideologische und philosophische Stenosen, Verengungen des Glaubens, den Mißbrauch der Religion, die Erniedrigung des Menschen durch einen theoretischen und praktischen Materialismus, sowie einen Verfall der Toleranz in einer Indifferenz, bar jeden Bezuges auf dauerhafte Werte, erlebt hat, so hat es doch gezeigt, so der Papst wörtlich, daß es Fähigkeit zur Selbstkritik besitzt, die es im weiten Fächer der Weltkulturen besonders auszeichnet.
Gerade hier sei ja erstmals der Begriff der Menschenrechte formuliert worden. Europa braucht für seine Zukunft die Besinnung auf seine christlichen Wurzeln, auf das Leben der Hoffnung, der Liebe und der Barmherzigkeit, die dem Glauben entspringen.
Der Geburtenrückgang
Unter Berufung auf die Menschenrechte präsentierte sich Benedikt XVI. den Vertretern der Nationen mit vollem Recht als Anwalt eines zutiefst menschlichen Anliegens und zum Sprecher der Ungeborenen, die keine Stimme haben: als Anwalt des zutiefst menschlichen Anrechts auf Leben von der Empfängnis bis zu seinem natürlichen Ende, wie er den verstorbenen Erzbischof von Wien, Kardinal König zitierte, der die Abtreibung als eine tiefe soziale Wunde bezeichnet hatte. In tiefer Besorgnis um die Humanität appellierte der Papst mit Nachdruck an die Verantwortlichen, nicht zuzulassen daß Kinder zu einem Krankheitsfall gemacht werden und daß die in Ihrer Rechtsordnung festgelegte Qualifizierung der Abtreibung als ein Unrecht faktisch aufgehoben wird. Überhaupt forderte er leidenschaftlich dazu auf, alles zu tun, damit die europäischen Länder wieder kinderfreundlicher werden. Ermutigen Sie bitte die jungen Menschen, die mit der Heirat eine neue Familie gründen, Mütter und Väter zu werden. Damit tun Sie ihnen selbst, aber auch der ganzen Gesellschaft etwas Gutes. Ich bestärke Sie auch nachdrücklich in Ihren politischen Bemühungen, Umstände zu fördern, die es jungen Paaren ermöglichen, Kinder aufzuziehen. Das alles wird aber nichts nützen, wenn es uns nicht gelingt, in unseren Ländern wieder ein Klima der Freude und der Lebenszuversicht zu schaffen, in dem Kinder nicht als Last, sondern als Geschenk für alle erlebt werden.
Gott selbst ist es, der dem Leben sein natürliches Ende zuteilt. Daher stellt die Debatte um die so genannte aktive Sterbehilfe eine große Sorge dar. Aus ihr könne eines Tages ein unterschwelliger oder auch erklärter Druck auf schwerkranke und alte Menschen ausgeübt werden, um den Tod zu bitten oder ihn sich selber zu geben. Um eine humane Sterbebegleitung durchzusetzen, bedürfte es freilich struktureller Reformen in allen Bereichen des Medizin- und Sozialsystems und des Aufbaus palliativer Versorgungssysteme. Es bedarf aber auch konkreter Schritte: in der psychischen und seelsorglichen Begleitung schwer Kranker und Sterbender, der Familienangehörigen, der Ärzte und des Pflegepersonals.
Dabei könne nicht die ganze Verantwortung an die Hospizbewegung delegiert werden, die hier Großartiges leiste. Vielmehr müssen auch viele andere Menschen bereit sein bzw. in ihrer Bereitschaft ermutigt werden, sich die Zuwendung zu schwer Kranken und Sterbenden Zeit und auch Geld kosten zu lassen, so der Papst.
Als guter Anwalt vergaß Benedikt in seiner Ansprache auch nicht die Rechte der anderen Seite. Zum Thema Lebensschutz fragte er nach den Bedingungen der natürlichen Entwicklung des Lebens. Die Glaubwürdigkeit des Diskurses über das Leben hänge aber auch davon ab, ob die Kirche (und auch der Staat) die Rechte der Frauen in Schwierigkeiten nicht mißachten. Beide seien aufgefordert, Möglichkeiten abzusichern, ein normales aktives Leben in Würde und Harmonie zu führen, wie es der Berufung der Frau als Trägerin des Lebens und ihrer gesellschaftlichen Aufgaben entspricht.
Will Europa seinen Wurzeln und vor allem seiner Berufung und seiner Fähigkeit zur Selbstkritik und seiner Kraft als Lebensmodell für alle Kulturen und Gesellschaften treu bleiben, so darf es sich nicht in wirtschaftlicher und sozialer Effizienz erschöpfen. Am Fest des heiligen Benedikt, des Patrons seines Pontifikats, hatte der Papst in der Generalaudienz erklärt, das Wirken Benedikts habe nach dem Zerfall der politischen Einheit, die durch das Römische Reich geschaffen worden war, eine neue geistliche und kulturelle Einheit hervorgebracht, nämlich jene des christlichen Glaubens, den die Völker des Kontinents teilten. Gerade so entstand die Wirklichkeit, die wir »Europa« nennen. (9. April 2008) Dieses Europa müsse sich dem Erbe der Freiheit und Offenheit treu erweisen. Das bedeute aber auch das Festhalten an Werten, die diesem Kontinent seine besondere Stellung geben. (Hofburg, 7. September 2007). Europa hat große Aufgaben in der Welt von heute und eine große Verantwortung der Zukunft gegenüber.
2. Globale Dimension
Wie allgemein bekannt, hat Benedikt XVI. eine große Vision von Europa, und hegt besondere Wertschätzung für diesen Kontinent und seine Rolle, ja seine Sendung in der Welt. Wie konnte er da als Anwalt derer, die keine Stimme haben und als Kenner des Erbes einer großen Denktradition, für die das Zusammenspiel von Glaube, Wahrheit und Vernunft essentiell ist, jenen Aspekt des religiösen Erbes und seiner Tradition unerwähnt lassen? All jene Prediger und Reformatoren, Vordenker und Revolutionäre, die Rebellen und die Heiligen, Philosophen und Techniker, all die Frauen der gesellschaftlichen Umwälzungen und geistlichen Erneuerung sind ja Europäer oder zumindest von europäischer Herkunft, die zweitausend Jahre hindurch die Geschichte der Menschheit verwandelt haben. Der Kampf ihres Lebens und der Schatz, aus dem all ihre Entdeckungen und Erfahrungen hervorsprudelten, waren die Verbindung von Vernunft und Glauben, der experimentellen und der transzendentalen Wahrheit. Diese Gegenüberstellung war stets präsent, wenngleich sie selbst nie thematisiert wurde. Sie diente immer der Suche nach dem Höheren.
Die christliche Tradition ist ein Faktum, ein integrativer Bestandteil Europas. Auch jene, die unseren Glauben nicht teilen, anerkennen das. Die Früchte des Evangeliums bleiben wie ein gemeinsames Erbe, das wir gemeinsam für die menschliche Entwicklung pflegen müssen. (Paul VI., Ansprache vor dem Europäischen Rat, 26. Jänner 1977) Dabei geht es um die grundlegende Überzeugung des christlichen Glaubens: In principio erat verbum - Im Anfang war das Wort, das heißt, die schöpferische Vernunft Gottes. Auf Fragen der amerikanischen Bischöfe bezeichnete Benedikt XVI. auf seiner Reise in den USA den Säkularismus als eine Herausforderung an die Kirche, ihre Mission in und für die Welt noch aktiver zu bekräftigen und zu verfolgen. Er sei überzeugt, daß zweifellos ein stärkeres Bewußtsein der tiefinneren Beziehung zwischen dem Evangelium und dem Naturgesetz einerseits und das Streben nach dem wahren menschlichen Wohl andererseits, wie es im bürgerlichen Recht und in den persönlichen moralischen Entscheidungen verkörpert ist notwendig sei. Aus dieser Einmaligkeit der Berufung ergibt sich für Europa auch eine einmalige Sendung in der Welt. Europa darf nicht auf sich selbst verzichten. (Papst Benedikt XVI., Pastoralbesuch in den USA, 10. April 2008).
Auch wenn der Kontinent von zunehmender Überalterung gekennzeichnet werde, dürfe er doch kein geistlich veralteter Kontinent werden. Um sich selbst besser kennen zu lernen, müsse Europa eine führende Rolle im Kampf gegen Armut und im Einsatz für den Frieden einnehmen. Es dürfe nicht vergessen, seine politische Kraft einzusetzen, wo es um die Ausbeutung natürlicher Ressourcen und um den Handel mit Waffen geht. Nur wenn Europa seiner eigenen ethischen und spirituellen Identität treu bleibe, könne es entscheidende Impulse in dieser Strategie liefern. Laßt nicht zu, daß morgen nur mehr die Steine von einem christlichen Europa berichten werden.
So etwa sieht das Bild aus, das der Leser der ersten Ansprache des Papst Benedikts in Österreich gewinnt, die keine moralische Mahnung, sondern eine konkrete Einladung zu einem größeren gemeinsamen Bemühen von Kirche und Gesellschaft in einem so bedeutsamen Moment der Geschichte darstellt.
3. Christliches Mühen im Dialog der Vernunft
Die Kirche steht nicht mit leeren Händen vor dieser großen Herausforderung der modernen Gesellschaft. Nicht nur wird ihr zeitliches Engagement in verschiedenen Bereichen des Lebens geschätzt, wobei der Dialog von Vernunft und Glauben ihr Werkzeug ist, das am besten den Anforderungen der Zeit entspricht. Sie muß auch fragen und Anfragen stellen dürfen, im Bewußtsein ihrer Erfahrung, ihrer lebendigen geistlichen Tradition, ihres Glaubens, der auf der Hoffnung auf den Auferstandenen Herrn und ihrer verwandelnden Kraft für Europa beruht.
War die Rede über Europa auf der gesellschaftlichen und universalen Bühne der Verantwortlichen der Welt noch kulturell, politisch oder existentiell, so war sie in Mariazell spirituell und von dogmatischem Inhalt geprägt. Das Motto der Wallfahrt lautete Auf Christus schauen. Im Bewußtsein der Verantwortung gegenüber ihrer spezifischen Berufung und Sendung vertraute der Papst in Mariazell Österreich und ganz Europa der Magna Mater Austriae an, damit sie selbst zu einer tiefgreifenden Erneuerung des Glaubens und Lebens verhelfe. Über alle Zeiten hinweg führte dieser Weg über die Verkündigung des Reiches Gottes. An alle Gläubigen gewandt, sagte der Papst: Betend und bittend seid ihr die Anwälte derer, die nach Gott suchen, die zu Gott hin unterwegs sind. Ihr gebt Zeugnis von einer Hoffnung, die gegen alle stille und laute Verzweiflung hinweist auf die Treue und Zuwendung Gottes. So wird das Zeugnis möglich für einen Sinn, der in der schöpferischen Liebe Gottes wurzelt und sich gegen allen Unsinn und alle Verzweiflung stellt.
Wenn die Christen sich gegen die vielfältigen Weisen von versteckter und offener Ungerechtigkeit wie gegen die sich ausbreitende Menschenverachtung stellen, wenn sie wie eine brennende und leuchtende Lampe (vgl. Joh 5, 35) in die Gesellschaft, die Politik, in die Welt der Wirtschaft, der Kultur und der Forschung hineinleuchten, so entzünden sie die Hoffnung, daß der Mensch fähig zur Wahrheit ist und widersetzen sich der Resignation im Hinblick auf die Wahrheit. Diese Resignation stellt nach Meinung des Papstes den Kern der Krise des Abendlandes dar. Diese Wahrheit ist für den Christen jener Gott, der sich als einziger Mittler des Heiles für alle Menschen geoffenbart hat. Dies bedeutet nicht eine Verachtung der anderen Religionen, oder eine hochmütige Verabsolutierung unserer Meinung, es bedeutet nur, daß wir von dem erfaßt sind, der uns innerlich berührt hat. Es ist ein Überzeugtsein von der Wahrheit des Glaubens an Jesus Christus, ein Wissen um den, dem mein Vertrauen gilt: Scio cui credidi ich weiß, wem ich Glauben geschenkt habe, sagt der Apostel Paulus.
Die Resignation des Westens, was die Wahrheit betrifft, ist im eigentlichen der Verzicht auf die Suche nach der Wahrheit, was all die großen und wunderbaren Errungenschaften und Kenntnisse der Wissenschaft zweideutig macht. Sie können zum Guten wie zum Schlechten dienen. Sie können retten und zerstören. Wir brauchen die Wahrheit, rief der Papst. Vielleicht ist es Angst, die uns hindert, die Wahrheit mit Überzeugung und innerer Kraft zu suchen? Es ist Zeit, auf Christus zu schauen! Der Blick auf Christus enthüllt die Liebe Gottes, die so weit ging, daß Gott ein Kind wurde, damit die Kinder, die in Armut ausgebeutet werden, als Soldaten mißbraucht, der Liebe der Eltern beraubt, ein Zeichen der Hoffnung haben und Hoffnung für die Zukunft geben. Europa ist arm an Kindern geworden. Wir wollen alles für uns selbst, vielleicht vertrauen wir der Zukunft nicht genug. Aber wo Gott ist, da ist Zukunft. Darum muß der Mensch auf Christus schauen, auf das Kind, den leidenden Knecht, den erhöhten König und den Stern, der unseren Weg erleuchtet.
4. Keine Resignation
Indem er von der Resignation als Kern der Krise des Okzidents sprach, entlarvte der Papst den Unheil bringenden Keim der Krise der Werte und des Vertrauens in die eigene Identität. Angesichts von Schwierigkeiten und Hindernissen hört man oft auf Spezialisten, auf Zuständige, Experten, Lehrer und Hirten: Was tun? Es ist zu kompliziert! Es ist zu schwer! Könnte es nicht sein, daß die Resignation ein Mangel an Glauben ist, eine Unkenntnis des Erbes des Glaubens, der Werte, die von den Heiligen und Kirchenlehrern, den Bekennern und Märtyrern in der Geschichte hochgehalten wurden? Unsere Epoche steht dem Glauben zwar nicht so feindlich wie in der Antike gegenüber, ist es jedoch eine Herausforderung, unserer christlichen Identität treu zu bleiben. Mehr noch, es scheint, sie frage uns wie den Petrus im Hof des Hohenpriesters: Warum gebt ihr keine Antwort? Warum schlagt ihr nicht Lösungen vor? Und wir, die Christenheit wie damals Petrus im Hof des Hohenpriesters wir wissen nichts von dieser neuen Wirklichkeit, wir verstehen diese Herausforderung nicht, diesen Durst nach Leben.
In einem so verwirrten und ruhelosen Moment der Geschichte, in einer Epoche, in der wir uns von verschiedensten irrationalen Strömungen umhergewirbelt fühlen, ist der Verweis auf das Erbe der Vernunft eine Pflicht, der sich der Pontifex nicht entziehen kann. Erwägt man genau all die anderen Errungenschaften und Verwirklichungen des europäischen Geistes, so sind sie nur Konsequenzen aus dem Vergleich von Glauben und Vernunft, biblischer Offenbarung und historischem Fortschritt. Denn Europa hat eine einzigartige Verantwortung in der Welt. Es darf sich selbst nicht verleugnen. Der Papst warnt: Der demographisch rapide alternde Kontinent soll nicht ein geistig alter Kontinent werden. Europa wird seiner selbst auch dann besser gewiß werden, wenn es gemäß seiner einzigartigen geistigen Tradition, seinen außerordentlichen Fähigkeiten und seinem großen wirtschaftlichen Vermögen eine angemessene Verantwortung in der Welt übernimmt.
Der Papst will niemandem seine Vision aufzwingen, aber er kann nicht anders, als die außergewöhnliche Fähigkeit Europas zu großer wirtschaftlicher und politischer Kraft im Zusammenhang mit seiner spirituellen Tradition betrachten. Er hat dies deutlich in seinen Begegnungen mit den Gläubigen in Österreich, vor allem bei der Heiligen Messe in Mariazell, bei der feierlichen Vesper an jenem Abend, sowie bei der Sonntagsmesse am 9. September im Wiener Stephansdom zum Ausdruck gebracht.
Das Europa von Papst Benedikt XVI. ist nicht ein geographischer Kontinent oder Politik, sondern die Gemeinschaft von Männer und Frauen, die diesen Erdteil durch ihre Gegenwart geformt, belebt und regiert haben. Dieses Europa hat einen Ursprung; es hat eine Geschichte, eine Identität, ein Erbe, eine Sendung und ein Ziel. Es unterliegt Zweifeln und dem Relativismus und ist bedroht von der Resignation. Es darf sich jedoch nicht selbst aufgeben! Die Resignation Europas zeigt sich in drei großen modernen Phänomenen, die mit ihrer ätzenden Kraft eine tödliche Bedrohung für die christliche Gesellschaft darstellen. Das erste Problem ist der Geburtenrückgang in Europa: Europa ist arm an Kindern. Ihr dürft Kinder nicht als eine Krankheit betrachten, mahnte der Papst. Die Abtreibung bleibt ein Unrecht gegen das Leben, bekräftigt Johannes Paul II. (Ecclesia in Europa, 95). Und das Zweite Vatikanische Konzil formuliert: Abtreibung bleibt immer ein verabscheuungswürdiges Verbrechen (Gaudium et Spes, 51).
Weitere Formen der Resignation auf religiöser Ebene sind die Loslösung von der Kirche, die Müdigkeit des Klerus, der Verlust des apostolischen Eifers. Bei vielen interreligiösen Treffen würden die Christen viel von Gott und wenig von Jesus Christus sprechen (Jacques Ellul, Islame et Christianisme, S.47). Es scheint, als würde es ihnen nicht gefallen, daß Jesus sich als der Sohn Gottes geoffenbart hat und gekommen ist, um alle Menschen zu erlösen. Sie haben Angst, man könne ihnen religiöse Intoleranz vorwerfen. (Alain Besançon, Islam et Judéo-christianisme, S.10)
Die Angst vor der Zukunft manifestiert sich in Sorge und Vereinsamung. Das Mittel gegen diese Angst hingegen ist eine Art der Sicherheit, die nicht deutlich ist: Unkontrollierte Einwanderung ohne biblische und christliche Aufnahme, ohne Verkündigung oder Präsentation des eigenen Erbes könnte einen schwerwiegenden Bruch in der westlichen Gesellschaft und der christlichen Identität, ja in der europäischen Kultur selbst bewirken. Es ist nicht immer ein Zeichen von Großzügigkeit, nicht zu reagieren, vielmehr kann es eine versteckte Resignation bedeuten. Europa und die Welt aber brauchen dringend neue Hoffnung. Wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Fortschritt allein können sie nicht geben. Nicht die Wissenschaft erlöst den Menschen. Erlöst wird der Mensch durch die Liebe. Es ist wahr, daß wer Gott nicht kennt, zwar vielerlei Hoffnungen haben kann, aber im letzten ohne Hoffnung, ohne die große, das ganze Leben tragende Hoffnung ist (vgl. Eph 2, 12). Die wahre, die große und durch alle Brüche hindurch tragende Hoffnung des Menschen kann nur Gott sein der Gott, der uns "bis ans Ende", "bis zur Vollendung" (vgl. Joh 13, 1 und 19, 30) geliebt hat und liebt. (Spe Salvi, 26, 27)
Dieser Gott der Hoffnung ist Jesus Christus. Die Hoffnung, die nicht andere Religionen oder Bekenntnisse verachtet, ist Christus. Das bezeugt die Geschichte und ihre Menschen.
Das europäische Haus Papst Benedikt XVI. ist das Europa des traditionellen Erbes der Religion Christi (Paul VI.). Es ist das Europa, das mit den Worten Johannes Paul II. mit zwei Lungenflügeln atmet, das Europa des heiligen Benedikt und der heiligen Cyrill und Method. Die Welt braucht Europa, Europa aber braucht Christus. Ich wage zu behaupten, Europa sei die pars haereditatis Christi, der zweitausend Jahre alte Fokus und Feld enormer Entwicklungen und Fortschritte im Weinberg Christi, der seine Kirche ist, die Trägerin von Kulturen und Gesellschaften, von Sünden und Leiden, vor allem aber von Gaudium et Spes.